Franzose von Geburt. Zweitjüngstes von sieben Kindern des Offiziers aus alter lothringischer
Adelsfamilie Louis Marie Comte de Chamissot (+1806) und seiner Frau Marie Anne,
geb. Gargam (+1806). Geschwister: Hippolyte (*1769), Louis Marie (*1772),
Prudent (*1773), Charles Louis (*1774), Louise (*1779), Eugène (1784-1802).
Entscheidende Lebenswende: die Flucht vor den Revolutionstruppen und der Verlust der
Heimat. Schlüssel zu seinem Leben, seinen Anschauungen und seinen Dichtungen
sind seine Worte gegenüber Mme de Staël: "Je suis Français en
Allemagne et Allemand en France, catholique chez les protestants, protestant
chez les catholiques, [...] Jacobin chez les aristocrates et chez les
démocrates un noble." (1810). 1804 nimmt er den
Vornamen Adelbert an.
1819 |
Heirat
mit Antonie Piaste (1800-1837); Kinder: Ernst (*1820), Max (*1822), Adélaide (1827), Johanna
(*1829), Adolph (*1830), Hermann (*1832), Adelbert (*1835); unehelich:
Wilhelm Ludwig Hertz (1822-1901, späterer Berliner Verleger; Mutter: Marianne Hertz) |
Literat und Botaniker
(Mitentdecker des Generationswechsels bei den Manteltieren). Zu seiner Zeit
einer der beliebtesten deutschen Dichter; politische und zeitkritische Lyrik; Vorläufer
des Vormärz; gehört nach Heine "mehr dem jungen als dem alten Deutschland"
an. Der "Schlemihl" gehört zu den Werken der Weltliteratur; die "Reise um
die Welt" zu den Klassikern unter den literarischen Reiseberichten.
Auszeichnung
1819 |
Ehrendoktorwürde
der Universität Berlin |
Wichtige
Lebensdaten:
1792-94 |
Konfiskation der elterlichen Besitzungen; Irrfahrt
der Familie durch die
Revolutionswirren (Luxemburg 1792, 1793/94 Lüttich, Den Haag, Trier). |
1793 |
Schloss Boncourt wird von den Revolutionären zerstört. |
1794-95 |
Familie
in Düsseldorf, Würzburg, Bayreuth. Unterhalt der Familie durch den
Verkauf selbstverfertigter Miniaturmalereien. |
1796-98 |
Umzug der Familie nach Berlin; Maler in der Königlichen
Porzellanmanufaktur in Berlin; Page bei Königin Friederike Luise; Besuch des
Französischen Gymnasiums. |
1798 |
Fähnrich in der Stadtgarnison. |
1799 |
Autodidaktische
Studien (Rousseau, Voltaire, Diderot, Klopstock, Schiller). |
1801 |
Beförderung zum Leutnant; Rückkehr der Eltern und
der Geschwister (außer Eugène) nach Frankreich. Intensive Beschäftigung
mit der deutschen Sprache und Literatur. |
1802-03 |
Frankreich-Aufenthalt: Ch. führt den schwer erkrankten Bruder Eugène zu den Eltern
in die Champagne zurück; Tod des Bruders. Reisen in Frankreich, um das
verlorene Vermögen wiederzuerlangen. |
1803 |
Rückkehr nach Deutschland zum Unverständnis der
Eltern. Verkehr in den literarischen Salons (Rahel Levin, Fanny Hertz); Mitglied des Nordsternbundes (romantischer
Dichterkreis: Varnhagen, Fouqué, Hitzig u.a.); Freundschaft mit Eduard
Hitzig; Besuch der Vorlesungen A. W. Schlegels;
Ch. beginnt auf deutsch zu schreiben. |
1803 |
Leidenschaft
für die junge französische Witwe Cérès Duvernay. |
1804-06 |
Mitherausgeber des Grünen Musenalmanachs (zusammen
mit Varnhagen). |
1805 |
Studium des Griechischen; Okt.: Marschbefehl für
Ch.s Regiment (Hessen). |
1806 |
März: Das Regiment wird nach Hameln
verlegt. Freundschaft mit Fouqué. Aug.: Cérès gibt Ch. aus Paris
brieflich den Laufpass. Okt.: Tod der Mutter; Nov: Tod des Vaters. Nov.: Nach der Niederlage der
preußischen Armee gegen Napoleon kampflose Übergabe der Festung Hameln.
Dez.: Reise nach
Frankreich als Gefangener auf Ehrenwort. |
1807 |
Aufenthalt in Paris und der Champagne; Cérès
schlägt Ch.s Heiratsantrag aus. Identitätskrise; Sept.:
Rückkehr nach Deutschland. Okt.: Zusammen mit Varnhagen Fußreise nach
Hamburg. |
1808 |
Jan.: Entlassung aus dem Militärdienst. |
1809 |
Privatlehrer. |
1810 |
Jan.: Reise nach Frankreich, um eine Stelle als
Griechisch-Lehrer
an einem Lyzeum in Napoléonville (Bretagne) anzutreten; Ch.s Hoffnung zerschlägt sich. Aufenthalt in
Paris (A. W. Schlegel, A. v. Humboldt, Uhland). Liaison
mit der verheirateten Schriftstellerin Helmina von Chézy; Juli - Okt.: Aufenthalt bei Madame de Staël auf
den Schlössern Chaumont und Fossé. |
1810-11 |
Okt.
- März.: Anstellung beim Baron Barante in der Vendée, um diesen in die
deutsche Literatur einzuführen. Entschluss zur Rückkehr nach
Deutschland. |
1811-12 |
Apr. - Aug.: Aufenthalt bei Madame de Staël
auf Schloss Coppet bei Genf; erste Beschäftigung mit botanischer Forschung.
Aug.: Alpenreise zu Fuß: Montblanc, Col de la Seigne, Courmayeur, Col
Ferret, Großer St. Bernhard, Martigny, Interlaken, Berner Oberland,
Grimsel, Furka, St. Gotthard nach Zürich und Schaffhausen. |
1812 |
Sept.:
wieder in Berlin; Entschluss, sich der Botanik zu
widmen; Okt.: Studium der Medizin und der Botanik an der Universität Berlin. |
1813 |
Während der Freiheitskriege in Kunersdorf im
Oderbruch bei der gräflichen Familie Itzenplitz. Okt:
Rückkehr nach Berlin, Wiederaufnahme des Studiums. |
1814 |
Fortführung
der Studien. |
1815-18 |
Die Teilnahme als Naturforscher an der russischen Pazifik- und
Arktisexpedition unter Kapitän Otto von Kotzebue auf dem Expeditionsschiff Rurik
begründet Ch.s wissenschaftlichen Ruf: Teneriffa - Brasilien - Kap
Horn - Chile - Osterinsel - Salas y Gomez - Südsee - Kamtschatka -
Behringstraße - San Francisco - Hawaii - Behringstraße - Südsee - Manila - Kap
der Guten Hoffnung - St. Helena - London - St. Petersburg. |
1819 |
Ehrendoktor der Universität Berlin; Zweiter Kustos im Botanischen Garten
in Berlin. - Sept.: Heirat. |
1820 |
Bezug
eines Gartenhauses in Schöneberg. Geburt des ersten Sohnes Ludwig
Deodatus, gen. Ernst. |
1821 |
Sept.:
Verhältnis
mit Marianne Hertz (Sohn: Wilhelm Ludwig Hertz, späterer Verleger
Fontanes). |
1822 |
Juli:
Brand des Gartenhauses; Umzug in die Lindenstr. |
1823 |
Exkursion nach Greifswald und Rügen. |
1824 |
Harzreise
(zu Fuß). - Mitglied der Mittwochsgesellschaft. |
1825 |
Okt.: letzte Paris-Reise
(Emigrantenentschädigung); Rückkehr über Brüssel, Köln, Bonn. |
1826 |
Jan.:
Ankunft in Berlin. |
1827 |
Juni:
Geburt der Tochter Adélaide. |
1829 |
März:
Geburt der zweiten Tochter Johanna. |
1830 |
Bekanntschaft mit Heine.
- Geburt des Sohnes Adolph. |
1831 |
Cholera-Erkrankung. |
1832 |
Okt.:
Geburt des Sohnes Hermann. |
1832-38 |
Redaktion des Deutschen Musenalmanachs (zusammen mit
Gustav Schwab). |
1833 |
April: Erster Kustos am Königlichen Herbarium.
- Mai: Schwere Grippe; von da an ständige Kränklichkeit. |
1835 |
Jan.:
Geburt des Sohnes Adelbert. - Mitglied
der Berliner Akademie der Wissenschaften; schwere Lungenerkrankung; Juli: zur Kur nach Bad
Reinerz (Schlesien). |
1836 |
Aug.:
Kuraufenthalt
in Bad Charlottenbrunn in Schlesien; Erkrankung der Ehefrau. |
1837 |
Mai:
Tod der Gattin (Blutsturz). Herbst: Reise nach Leipzig auf der neuen
Eisenbahnlinie Leipzig-Dresden.. |
1838 |
März:
Gesuch um Pensionierung. Aug.: Versetzung in den Ruhestand. 21.8.: Tod;
23.8.: Bestattung.. |
Werke:
(e = entstanden; a =
Uraufführung in)
Erzählungen
1807 |
Adelberts Fabel |
1814 |
Peter Schlemihls wundersame Geschichte (mit Ged. verm.
Neuausgabe 1827) |
Dramatisches
1804 |
Faust.
Eine Tragödie in einem Akt |
1895
1806 e |
Fortunati Glücksäckel und Wunschhütlein (Frgm., Versdrama) |
1825
(a Potsdam) |
Die
Wunderkur (Lustspiel) |
1828 |
Der
Tod Napoleons |
Gedichte
1827 |
Das Schloß Boncourt
Die Sonne bringt es an den Tag |
1830 |
Salas y Gomez (Terzinenged.) |
1831 |
Gedichte;
u.a. die Zyklen
|
1833 |
Deutsche Volkssagen (u.a. Das Riesenspielzeug;
Die Weiber von Winsperg) |
1834 |
Der
rechte Barbier |
1835 |
Die
alte Waschfrau |
1838 |
Zwei
Gedichte (ein altes und ein neues). Zum Besten der alten Waschfrau |
Schriften
1821 |
Reise
um die Welt mit der Romanzoffischen Entdeckungs-Expedition in den Jahren
1815-18. Zweiter Teil: Bemerkungen und Ansichten |
1827 |
Uebersicht
der nutzbarsten und der schädlichsten Gewächse... |
1828 e
1918 |
Zur
Geschichte der Censur |
1834
e
1864 |
Über
Zensur und Preßfreiheit |
1836 |
Reise
um die Welt mit der Romanzoffischen Entdeckungs-Expedition in den Jahren
1815-18. Erster Teil: Tagebuch |
1836 |
[Memoire
über die Ereignisse bei der Kapitulation von Hameln] |
1837 |
Über
die Hawaiische Sprache |
Werkausgaben
1836-39 |
Werke,
hg. v. Julius E. Hitzig, Leipzig: Weidmann (6 Bde.) |
1864 |
Werke,
hg. v. Friedrich Palm, Berlin: Weidmann (6 Bde.) |
1892 |
Werke,
hg. v. Oskar F. Walzel, Stuttgart: Union DVG |
1898-1906 |
Gesammelte
Werke, hg. v. Max Koch, Stuttgart: Cotta (4 Bde.) |
1975 |
Sämtliche
Werke, hg. v. Volker Hoffmann u. Jost Perfahl, München: Winkler (2 Bde.) |
1981 |
Sämtliche
Werke, hg. v. Werner Feudel, Leipzig: Insel (2 Bde.) |
2013 |
Gedichte.
Ausgabe letzter Hand, einger. v. Michael Holzinger, Edition Holzinger |
Chamisso-Gesellschaft
e.V.
Das Riesenspielzeug
Burg Nideck ist im Elsaß der
Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vorzeiten die Burg der Riesen stand;
sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.
Einst kam das Riesenfräulein
aus jener Burg hervor,
erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Tor
und stieg hinab den Abhang bis in das Tal hinein,
neugierig zu erkunden, wie's unten möchte sein.
Mit wen'gen raschen Schritten
durchkreuzte sie den Wald,
erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald,
und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld
erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.
Wie jetzt zu ihren Füßen sie
spähend niederschaut,
bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut;
es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar,
es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar.
"Ei! artig Spielding!"
ruft sie, "das nehm' ich mit nach Haus!"
Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus
und feget mit den Händen, was sich da alles regt,
zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammenschlägt,
und eilt mit freud'gen Sprüngen,
man weiß, wie Kinder sind,
zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind:
"Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön!
So Allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höh'n."
Der Alte saß am Tische und
trank den kühlen Wein,
er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein:
"Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei?
Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei."
Sie spreitet aus das Tüchlein
und fängt behutsam an,
den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann;
wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut,
so klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut.
Der Alte wird gar ernsthaft und
wiegt sein Haupt und spricht:
"Was hast du angerichtet? Das ist kein Spielzeug nicht!
Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin,
der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn?
Sollst gleich und ohne Murren
erfüllen mein Gebot;
denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot;
es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,
der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!"
Burg Nideck ist im Elsaß der
Sage wohl bekannt,
die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;
sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
und fragst Du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.
(1833)
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