Ferdinand
von Saar
vollst.:
Ferdinand Ludwig Adam von Saar
Lebensdaten
| Werk
Saar-Texte
online
*
30. September 1833 Wien
+
24. Juli 1906 Döbling/Wien (Suizid)
Grabstätte:
Wien, Ehrengrab auf dem Döblinger Friedhof (Gruppe 26, Nr. 33)
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Fotografie von Charles Scolik jun.
Bildquelle: Zeno.org
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Österreichischer
Erzähler, Dramatiker, Lyriker. Neben Marie von Ebner-Eschenbach und
Ludwig Anzengruber bedeutendster Vertreter des österreichischen
bürgerlichen Realismus. Nach eigenem Verständnis Mittler zwischen
Biedermeier und der Wiener Moderne
Hofmannsthals und Schnitzlers (»Ich
bin halt der Übergang zu Euch«). Sieht sich zeitlebens trotz
der Erfolglosigkeit seiner vorwiegend historischen Dramen in erster
Linie als Dramatiker. Zu Lebzeiten berühmt geworden durch seine
„Wiener Elegien“. Heute noch von literarischem
Interesse sind vor allem die 32
Novellen (präzise Darstellung von Geschehnissen und Handlungsorten; psychologisch treffende Charakterzeichnung
der handelnden Personen; Blick auf die soziale Realität der
Donaumonarchie; melancholischer Grundton; autobiographische Bezüge): "Kultur- und
Sittenbilder aus dem österreichischen Leben von 1850 bis auf die
Gegenwart« (Brief an den Verleger, 1896).
Aus einer 1793 geadelten Beamtenfamilie. Sohn
von Ludwig Adam von Saar (1799-1834), Geschäftsführer
eines Industriebetriebs, und seiner
Frau, der Hofratstochter Caroline, geb. von Nespern (1799-1872). Wird
nach dem frühen Tod des Vaters zusammen mit seinem Vetter, dem späteren
Maler August von
Pettenkofen (1822-1889), im Haus des Großvaters mütterlicherseits
erzogen. Bescheidene Verhältnisse. Liebling der Mutter. Besuch der Volksschule des
Waisenhauses in Wien und der Stadtschule der Schotten.
Nach
dem Militärdienst bittere Jahre in materieller Not und gesellschaftlicher Missachtung. Später
Unterstützung durch reiche Gönnerinnen (Zutritt zum Salon von
Josephine v. Wertheimstein und ihrer Tochter
Franziska; Teilhabe am aristokratischen Lebensstil wohlhabender
und kunstinteressierter Kreise; Dauerwohnrecht auf den mährischen Schlössern
Blansko und Raitz der Familie Salm-Reifferscheidt). Zunehmende
Verdüsterung des letzten Lebensdrittels (Selbstmord der Ehefrau;
Erfolglosigkeit als Dramatiker; nicht zufrieden stellender Verkauf
seiner Werke; schließlich Erkrankung an Darmkrebs).
1881
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Eheschließung mit Melanie Lederer (1840-1884; Suizid); kinderlos.
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Ehrungen
1890
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Franz-Joseph-Orden
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1902
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Berufung ins österreichische
"Herrenhaus"
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Wichtige
Lebensdaten:
1834
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Tod des Vaters. Rückkehr der Mutter in
ihr Vaterhaus.
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1840
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Tod des Großvaters. Die Mutter zieht mit
Ferdinand in eine kleine Wohnung. Dürftige Verhältnisse.
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1843
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Besuch des klerikal geleiteten
Schottengymnasiums in Wien. "Unersättliche Lesegier".
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1849
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Vom Vormund (Bruder der Mutter) zum
Soldaten bestimmt; Eintritt als Kadett ins kaiserliche Heer.
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1854
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Beförderung zum Leutnant.
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1859
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Teilnahme am Italienfeldzug; ohne
Kampfeinsatz.
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1860
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Abschied aus dem Militärdienst, um als
freier Schriftsteller zu leben. Hohe finanzielle Schulden. In den
folgenden Jahren mehrmals monatelang im Schuldgefängnis.
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1865
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Schreibkrise; materielle Not (die
"sieben bösen Jahre").
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1871
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Großzügige Geldzuwendung durch Josephine
von Wertheimstein. Durch ihre Bekanntschaft Zutritt zu den
wohlhabenden und kunstliebenden jüdischen Salons von Wien.
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1872
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Juli: Tod der Mutter. - Aug.: Einladung
der Altgräfin Elisabeth Salm-Reifferscheidt auf ihr Schloss
Blansko in Mähren. Bis zum Tod regelmäßige Unterstützung auch
von anderen literaturliebenden Angehörigen der Aristokratie (fast
ausschließlich Frauen).
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1873
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Romreise.
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1875
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Kaiserliche Pension. Zunehmende
Anerkennung als Literat.
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1881
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Eheschließung mit Melanie Lederer, der
Gesellschafterin von Altgräfin Elisabeth Salm-Reifferscheidt auf
Schloss Blansko.
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1884
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Suizid der Ehefrau wegen eines unheilbaren
Leidens. In der Folge depressive Phasen.
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1893
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Die Wiener Elegien werden zum größten
lyrischen Erfolg. Anerkennung des "Jungen Wien": Im Festblatt
zum 60. Geburtstag sind u.a. Bahr, Hofmannsthal und Schnitzler mit
Beiträgen vertreten.
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1902
|
Ernennung zum Mitglied des
"Herrenhauses" im Reichsrat. Zunehmend angegriffene
Gesundheit.
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1903
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Erkrankung an Darmkrebs. Erfolglose
Operation.
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1906
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23.7.:
v. Saar schießt
sich in seiner Döblinger Wohnung mit seinem alten Armeerevolver
in den Kopf. Tod tritt nach siebzehnstündigem Todeskampf ein.
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Werke:
Novellen
1866
(recte 1865)
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Innocens.
Ein Lebensbild
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1873
(recte 1872)
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Marianne.
Eine Novelle
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1874
(recte 1873)
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Die Steinklopfer.
Eine Geschichte
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1875
(recte 1874)
|
Die Geigerin.
Novelle
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1876
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Das Haus
Reichegg (umgearb. 1894)
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1877
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Novellen aus Österreich:
-
Innocens
(1866)
-
Marianne
(1873)
-
Die
Steinklopfer (1874)
-
Die
Geigerin (1875)
-
Das Haus
Reichegg (1876)
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1879
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Vae
victis! (= Der General)
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1882
|
Der
Exzellenzherr
Tambi
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1883
|
Drei
neue Novellen
-
Vae
victis (1879)
-
Der
Exzellenzherr (1882)
-
Tambi
(1882)
|
1887
|
Leutnant
Burda
|
1889
(recte 1888)
|
Schicksale.
Drei Novellen:
-
Leutnant
Burda (1887)
-
Seligmann
Hirsch
-
Die
Troglodytin
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1890
|
Ginevra
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1892
(recte 1891)
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Frauenbilder.
Zwei neue Novellen:
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1893
(recte 1892)
|
Schloß Kostenitz
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1894
|
Herr Fridolin
und sein Glück
|
1896
|
Doktor
Trojan
|
1897
(recte 1896)
|
Herbstreigen.
Drei Novellen
|
1897
|
Novellen aus Österreich (Ausgabe in zwei Bänden)
|
1897
|
Conte
Gasparo
|
1898
|
Sündenfall
|
1899
|
Nachklänge. Neue Gedichte und Novellen:
-
Doktor
Trojan (1896)
-
Conte
Gasparo (1897)
-
Sündenfall
(1898)
|
1899
|
Die
Parzen
Der Burggraf
Der Brauer von Habrovan
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1901
(recte 1900)
|
Camera obscura.
Fünf Geschichten:
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1902
|
Die Heirat des Herrn
Stäudl
|
1904
|
Camera obscura.
Acht Geschichten (um 3 Novellen
vermehrte Auflage):
|
1904
|
Sappho
|
1905
|
Hymen
|
1906
(recte 1905)
|
Tragik des Lebens.
Vier neue Novellen:
|
Gedichte
1882
|
Gedichte
|
1888
|
Gedichte (vermehrte Aufl.)
|
1893
|
Wiener Elegien
|
1903
|
Österreichische Festdichtungen
|
Versepen
1897
|
Die Pincelliade. Ein Poem in fünf Gesängen
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1902
|
Hermann und Dorothea. Ein Idyll
|
Dramen
1865
|
Kaiser Heinrich IV. Erste Abteilung:
Hildebrand (Trauerspiel)
|
1867
|
Kaiser Heinrich IV. Zweite Abteilung:
Heinrichs Tod (Trauerspiel)
|
1875
(recte 1874)
(1878 a Wien)
|
Die beiden de Witt.
Trauerspiel
|
1881
(recte 1880)
(1902 a Brünn)
|
Tempesta.
Trauerspiel
|
1886
(recte 1885)
|
Thassilo.
Tragödie
|
1887
(recte 1886)
(1903
a Wien)
|
Eine
Wohlthat. Volksdrama
|
1899
|
Nachklänge. Neue Gedichte und Novellen;
darin:
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Werkausgaben
1908
|
Sämtliche Werke, hg. v. Jakob Minor,
Leipzig: Hesse (12 Bde.)
|
1959
|
Gesamtausgabe
des erzählerischen Werks, hg. von Josef Friedrich Fuchs,
Wien: Amandus (3 Bde.)
|
1980-99
|
Kritische Texte und Deutungen, hg. v.
Karl Konrad Polheim, Bonn/Tübingen: Bouvier/Niemeyer (9 Bde.)
|
1998
|
Novellen
aus Österreich, hg. v. Karl Wagner, Wien: Deuticke (2 Bde.)
|
Ich bin ein Freund der Vergangenheit. Nicht daß ich etwa
romantische Neigungen hätte und für das Ritter- und Minnewesen
schwärmte - oder für die sogenannte gute alte Zeit, die es
niemals gegeben hat, nur jene Vergangenheit will ich gemeint
wissen, die mit ihren Ausläufern in die Gegenwart hineinreicht
und welcher ich, da der Mensch nun einmal seine Jugendeindrücke
nicht loswerden kann, noch dem Herzen nach angehöre. So fühl'
ich mich stets zu Leuten hingezogen, deren eigentliches Leben
und Wirken in frühere Tage fällt und die sich nicht mehr in
neue Verhältnisse zu schicken wissen. Ich rede gern mit
Handwerkern und Kaufleuten, welche der Gewerbefreiheit und dem
hastenden Wettkampfe der Industrie zum Opfer gefallen; mit
Beamten und Militärs, die unter den Trümmern gestürzter
Systeme begraben wurden; mit Aristokraten, welche, kümmerlich
genug, von dem letzten Schimmer eines erlauchten Namens zehren:
lauter typische Persönlichkeiten, denen ich eine gewisse
Teilnahme nicht versagen kann. Denn alles das, was sie zurückwünschen
oder mühsam aufrechterhalten wollen, hat doch einmal bestanden
und war eine Macht des Lebens, wie so manches, das heutzutage
besteht, wirkt und trägt. Daher habe ich auch eine Vorliebe für
die alten Plätze, die alten Gassen und Häuser meiner
Vaterstadt und bin noch zuweilen in jenen öffentlichen Gärten
zu finden, die infolge neuerer Anlagen ihr Publikum verloren
haben und verblühten Gouvernanten, brotlosen Schreibern oder ähnlichen
Jammergestalten in lichtscheuer Kleidung tagsüber gewissermaßen
als Versteck dienen. [...]
(Die
Geigerin, 1875)
|
Dennoch,
wie sehr und wie oft dich mein Auge bewundert, du sprichst mir
Nicht mehr zum Herzen wie einst, weithin
gebreitete Stadt;
Nicht mehr wie einst, da wallumgürtet du noch mit den alten
Schwärzlichen Häusern geragt über das grüne
Glacis:
Eng und gedrückt, voll gewundener Gassen und düsterer Winkel
–
Aber es wogte in dir fröhlich ein fröhliches
Volk.
Leicht gesinnt und bewegt, abhold den Mühen des Daseins,
Lebt' es harmlos dahin, wie ein empfängliches
Kind.
Heute bewegt es sich ernster und weniger laut durch die Straßen,
Wo sich die Menge nicht staut, sondern
zerstreut und verliert.
Sorgen haben gefurcht die Stirnen der Männer, es blicken
Schärfer, gewitzter als sonst kühl mich die
Jünglinge an;
Geistiger Ziele Bewußtsein, der Stolz befreiender Arbeit
Wehn, gleich fröstelndem Hauch, selbst um
die Reize der Fraun.
Reicher, beschwingter sind Handel und Wandel, doch fehlt das
Behagen,
Das am Erworbenen sich festen Besitzes
erfreut.
Prunkende Häuser und Plätze gewahr' ich in stummer Verödung
–
Und kein Jubel erschallt mehr aus der
menschlichen Brust....
Ja, du hast dich verändert, ich fühl' es. Bist du auch schöner,
Bist du auch größer, als einst – bist du
doch nicht mehr mein Wien!
(Wiener
Elegien III, 1893)
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