Johannes Urzidil
Lebensdaten | Werk
Urzidil-Texte
online
Dank an Dr. Klaus
Johann, Münster
*
3. Februar 1896 Prag
+
2.
November 1970 Rom (Gehirnschlag)
Grabstätte: Rom,
Campo Santo Teutonico
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„Der
Sinn [...] aller meiner Bemühungen war immer: Verbindungen herzustellen, Brücken
zu schlagen, das Vereinigende zu zeigen und zur Wirkung zu bringen.“
Johannes
Urzidil (aus der Dankrede zur Verleihung des Andreas-Gryphius-Preises 1966)
Sohn von Josef Urzidil
(1854-1922), einem deutschnationalen Ingenieur und Eisenbahnverwaltungsbeamten,
und Elise Metzeles, verwitwete von Steinitz (1854-1900), einer tschechischen Jüdin.
Bereits im engsten familiären Umfeld Urzidils spiegelt sich somit jene böhmische
Gesellschaft wider, die durch Shoa und Zweiten Weltkrieg unwiederbringlich zerstört
wurde. Vertreter eines supranationalen Bohemismus, er selbst bezeichnete sich
gern als „hinternational“, d.h. hinter den Nationen. Als Katholik und
Freimaurer geprägt von einem weltläufigen Christentum und tiefer Humanität, für
jeglichen Nationalismus und andere totalitäre Ideologien unempfänglich.
1922
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Heirat mit der Lyrikerin und Schriftstellerin
Gertrude Thieberger (1898-1977)
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Als
expressionistischer Lyriker und Erzähler beginnend. In seinen Artikeln und
Essays „Publizist zwischen den Nationen“ (Gerhard Trapp) seiner böhmischen
Heimat. Beschäftigung mit Goethe und Stifter, mit dem tschechischen Barockkünstler
Václav Hollar und den tschechischen Malern der Moderne, in den USA dann auch
mit Walt Whitman und Henry David Thoreau. Kulturhistorische Studien. Übersetzungen
aus dem Tschechischen und Englischen. Im Exil Hinwendung zur – mitunter auch längeren
– Erzählung als dem ihm und seiner „Poesie der Augenblicke“ (Claudio
Magris) gemäßen Genre. Genauer Schilderer zumeist Böhmens – vor allem Prags
und des Böhmerwaldes – oder seines Exillandes USA, dabei mit hintergründigem
Humor, doppelbödiger Ironie, die jede Idylle als scheinbar entlarvt, sowie
einem Changieren zwischen Stilen und Genres. Bei aller Verbundenheit mit
Vorbildern wie Goethe oder Stifter ein Autor der klassischen Moderne, so Peter
Demetz.
Auszeichnungen
und Ehrungen
1957
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Charles-Veillon-Preis für „Die verlorene Geliebte“
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1958
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Ernennung zum
korrespondierenden Mitglied des Adalbert-Stifter-Institutes des Landes Oberösterreich
in Linz
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1961
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Professorentitel
ehrenhalber der Republik Österreich
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1962
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Ernennung zum
korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in
Darmstadt
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1964
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Literaturpreis
der Stadt Köln
Großer Österreichischer
Staatspreis für Literatur
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1966
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Andreas-Gryphius-Preis
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Wichtige
Lebensdaten:
1900
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Tod der Mutter
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1903
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Wiederverheiratung des
Vaters mit der Tschechin Maria Mostbecková (1864-?)
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1913
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Veröffentlichung
erster Gedichte im „Prager Tagblatt“ unter dem Pseudonym Hans Elmar. Beginn
der freundschaftlichen Beziehungen zu anderen deutschsprachigen Schriftstellern
wie Max Brod, Franz Kafka oder Franz Werfel, bald auch zu tschechischen
Schriftstellern und Malern wie Petr Bezruč, den Brüdern Karel und Josef
Čapek oder Jan Zrzavý
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1914
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Matura am Prager
Graben-Gymnasium
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1914-1918
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Studium der
Germanistik, Slawistik und Kunstgeschichte an der deutschen
Karl-Ferdinand-Universität in Prag
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1916
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Kurze
Unterbrechung des Studiums durch den Kriegsdienst
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1917/18
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Fortsetzung
des Kriegsdienstes in Prag, Wiederaufnahme des Studiums
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1918
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Übersetzungen
von Gedichten des tschechischen Lyrikers Otokar Březina
erscheinen in der Zeitschrift „Der Mensch“
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1918-1920
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Tätigkeit
als Übersetzer am deutschen Generalkonsulat (ab 1919 Botschaft) in Prag
1918-1939 Korrespondent für das „Prager Tagblatt“
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1920-1921
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Pressereferent der Deutschen Botschaft in Prag
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1921-1933
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Korrespondent für den „Berliner
Börsen-Courier“
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1922
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Tod des Vaters
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1922-1933
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Korrespondent für das „Wolffsche Telegraphenbureau“; Pressebeirat
an der deutschen Botschaft in Prag
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1923-1938
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Korrespondent für die „Bohemia“
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1924
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Totenrede für
Franz Kafka
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1933
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Nach der
Machtergreifung durch die Nazis als sogenannter „Halbjude“ Entlassung aus
dem diplomatischen Dienst des Deutschen Reiches. Ende seiner Korrespondententätigkeit
für die deutsche Presse
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1933-1939
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Häufige
Aufenthalte in Josefsthal im Böhmerwald. Dort Besuch von Freunden wie Willy
Haas, Paul Kornfeld oder Hugo Steiner-Prag, dem „Josefsthaler Stammtisch“
(Gertrude Urzidil)
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1939
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Nach der
Besetzung Prags durch die Truppen Nazi-Deutschlands in letzter Minute gemeinsam
mit seiner Frau Flucht nach Italien, von dort nach England, zunächst nach
London. Während des Exils finanziell großzügig unterstützt von der
britischen Schriftstellerin Bryher (i.e. Annie Winnifred Ellerman). In England näherer
Kontakt zur tschechoslowakischen Exil-Regierung unter Edward Beneš, die in
London residierte.
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1939-1941
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Aufenthalt in
Viney Hill, Gloucestershire, England
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1941
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Übersiedlung
nach New York, das bis zu ihrem Tode der Wohnsitz der Urzidils bleibt. Tätigkeit
als Lektor, als Korrespondent tschechoslowakischer Exilzeitungen und
Lederkunsthandwerker; Gertrude Urzidil arbeitet als Babysitter.
Freundschaftlicher Kontakt mit anderen Exilanten wie den Schriftstellern Yvan
Goll und Carl Zuckmayer oder dem tschechischen Maler Maxim Kopf und dessen Frau,
der amerikanischen Journalistin und engagierten Nazi-Gegnerin Dorothy Thompson
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1946
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US-amerikanischer
Staatsbürger
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1951-1953
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Tätigkeit für
die Österreich-Abteilung des Senders „Voice of America“
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1957-1970
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Immer wieder
längere Reisen, meist mit vielbesuchten Lesungen verbunden, vor allem in die
Bundesrepublik Deutschland, nach Österreich und in die Schweiz, aber auch nach
Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Israel, Italien, in die
Niederlande oder nach Spanien. Einen Besuch in seiner kommunistisch beherrschten
böhmischen Heimat lehnt Urzidil aus Angst vor Vereinnahmung ab.
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1977
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Tod
Gertrude Urzidils in New York
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1984
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Erstes wissenschaftliches Johannes-Urzidil-Symposion in Rom
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1995
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Zweites wissenschaftliches Johannes-Urzidil-Symposion in Prag
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2005
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Gründung
der Johannes-Urzidil-Gesellschaft in Horní Planá/Oberplan (www.johannes-urzidil.cz)
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2006
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Eröffnung
eines Johannes-Urzidil-Museums in Zvonková/Glöckelberg im Böhmerwald
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Werke:
Erzählungen
1945
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Der Trauermantel. Eine Erzählung aus Stifters Jugend
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1956
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Die verlorene Geliebte (Episodenroman/Erzählungen):
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Spiele
und Tränen
-
Stief
und Halb
-
Flammende
Ferien
-
Neujahrsrummel
-
Dienstmann
Kubat
-
Repetent
Bäumel
-
Eine
Schreckensnacht
-
Grenzland
-
Wo
das Tal endet
-
Ein
letzter Dienst
-
Die
Fremden
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1958
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Denkwürdigkeiten von Gibacht. Erzählung
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1960
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Prager Triptychon:
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1962
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Das Elefantenblatt. Erzählungen:
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Taubenfutter
-
Ein
alter Brief (1961)
-
Das
Aviso (1958)
-
Der
Schattenspieler (1957)
-
Zu
den neun Teufeln (1961)
-
Anton
ist fortgegangen
-
Das
Elefantenblatt
-
Traum
eines Löwenbändigers (1956)
-
Der
Trauermantel (1945)
-
Der
letzte Gast (1956)
-
Denkwürdigkeiten
von Gibacht (1958)
-
Die
Reisen Siegelmanns (1961)
-
Eurykleia
(1969)
-
Anekdote
aus dem Zweiten Punischen Kriege
-
Die
Männer am Ofen
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1964
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Entführung und sieben andere Ereignisse:
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1966
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Die erbeuteten Frauen. Sieben dramatische Geschichten:
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1968
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Bist du es, Ronald?
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1971
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Die letzte
Tombola:
-
Die
letzte Tombola (1970)
-
Das
Gold von Caramablu
-
Die
grosse Finsternis in New York (1966)
-
Von
Odkolek zu Odradek
-
Die
Frau mit den Handschuhen
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1971 |
Morgen fahr’ ich heim. Böhmische Erzählungen:
-
Morgen
fahr' ich heim (1968)
-
Der
Trauermantel (1945)
-
Der
letzte Gast (1956)
-
Denkwürdigkeiten
von Gibacht (1958)
-
Zu
den neun Teufeln (1961)
-
Die
Causa Wellner (1959)
-
Vermächtnis
eines Jünglings (1958)
-
Weissenstein
Karl (1960)
-
Das
Elefantenblatt (1962)
-
Morgenroths
Erbe (1966)
-
Anton
ist fortgengangen (1962)
-
Die
Rippe der Grossmutter (1966)
-
Meine
Verehrung! (1968)
-
Die
Herzogin von Albanera (1965)
-
Letztes
Läuten (1968)
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Roman
Lyrik
1919
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Sturz der Verdammten. Gedichte
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1930
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Die Stimme.
Gedichte
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1957
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Die Memnonssäule. Gedichte
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Kulturhistorische Essays und
Monographien
1932
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Goethe in Böhmen (stark erweiterte und überarbeitete Ausgabe 1962)
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1936
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Wenceslaus Hollar. Der Kupferstecher des Barock
Zeitgenössische Maler der Tschechen: Čapek, Filla, Justitz, Spála, Zrzavý
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1942
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Hollar, a Czech émigré in England
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1954
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Über das Handwerk
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1958
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Das Glück der Gegenwart. Goethes Amerikabild
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1960
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Die Tschechen und
Slowaken
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1964
|
Amerika und die Antike
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1965
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Da geht Kafka
(erweiterte Ausgabe 1966)
Literatur als schöpferische Verantwortung
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1966
|
Prag als geistiger Ausgangspunkt
|
1967
|
Der lebendige Anteil des jüdischen Prag an der neueren
deutschen Literatur
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Autobiographisches
1969
|
Väterliches aus Prag und Handwerkliches aus New York
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1972
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Bekenntnisse eines Pedanten. Erzählungen und Essays aus dem autobiographischen
Nachlaß
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Übersetzungen
1937
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Dr. Edvard Beneš:
Masaryks Weg und Vermächtnis. Rede am Sarge des Präsidenten-Befreiers 21.
September 1937
Jaroslav Papoušek:
Dr. Edvard Beneš. Sein Leben
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1955
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H.D. [i.e. Hilda Aldington]: Avon, eine Shakespeare-Buch
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Briefe
2003
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Život s českými malíři. Vzájemná
korrespondence s Janem Zrzavým. Vzpomínky – texty – dokumenty [Leben mit
tschechischen Malern. Korrespondenz mit Jan Zrzavý. Briefe – Texte –
Dokumente]
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Textsammlung
1962
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Geschenke des Lebens, hg. v. Ernst Schönwiese
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Werkausgabe
Eine
(Neu-)Edition der gesammelten Werke in zehn Bänden ist in Vorbereitung und soll
nach Klärung der rechtlichen und finanziellen Fragen im Wallstein-Verlag, Göttingen,
erscheinen.
Urzidil-Website
von Klaus Johann & Vera Schneider
Datenschutz
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